Ulrich Brand: Es braucht einen Rückbau der ökonomischen Logik von ‚Wachstum, Wachstum, Wachstum‘. Diese Erkenntnis wird heute breit geteilt wird. Nicht nur von den Investoren und vom Management, sondern auch von Beschäftigten und Gewerkschaften und vom Staat. Das ist die eine Dimension. Die andere ist der materielle Rückbau, bei der es weit weniger Konsens gibt. In bestimmten Bereichen – bei der Produktion und Nutzung von Automobilien, dem Flugverkehr, der industriellen Landwirtschaft, der schnell verbrauchbaren Güter und der billigen Kleidung – muss zurückgebaut werden. Wir brauchen ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell, das Wohlstand mit weniger materiellen Gütern sichert. Das heißt aber durchaus, dass wir im Bildungsbereich, im Gesundheitsbereich, im Bereich von ökologischer Ernährung und im öffentlichen Verkehr wachsen müssen.
Den Energiesektor haben Sie gar nicht erwähnt.
Klar ist, dass wir wegmüssen von der fossilen Energieproduktion. Die muss drastisch zurück- und in die Richtung der Erneuerbaren Energie umgebaut werden. Aber wir sollten uns nichts vormachen: Das ist kein Nullsummenspiel. Der Energieverbrauch muss insgesamt gesenkt werden. Wir kriegen das nur mit dem Ausbau Erneuerbarer Energien nicht hin. Das zeigen alle Studien. Deshalb ist das Mantra des „grünen Wachstums“ unehrlich.
Weniger zu produzieren, wäre eine Kehrtwendung im jetzigen Wirtschaftssystem. Wo sehen Sie Chancen, dass es klappen könnte? Welche Sektoren machen Ihnen Mut?
1. Wir müssen den Mobilitätsbereich so umbauen, dass wir wegkommen von der Fixierung auf das Automobil und auf den Flugverkehr. Das ist ja nicht nur eine Frage des Verkehrsträgers.
2. Die Raumstruktur muss ebenfalls geändert werden. Viele Leute müssen aus den Innenstädten von Wien oder Hamburg wegziehen, weil die Mieten zu teuer sind und müssen dann jeden Tag sechzig Kilometer pendeln.
3. Im Bereich der Ernährung wissen wir, dass wir aus der energieintensiven, industriellen Landwirtschaft rausmüssen. Hin zu einer ökologischen Landwirtschaft, die – da sollten wir uns nichts vormachen – arbeitsintensiver ist.
4. Wir benötigen langlebige Kleidungsstücke und andere Güter.
Das ist alles Degrowth. Das wird in bestimmten Bereichen Investitionen generieren, aber mittelfristig bedeutet das erst einmal den Rückbau der Automobilindustrie, der industriellen Landwirtschaft und der billigen Kleidungsindustrie. Es gibt genug Beispiele, die aus meiner Sicht Mut machen. Es ist auch eine Frage der politischen Rahmenbedingungen und der ökonomischen Macht. Welche Akteure setzen sich durch?
Die Degrowth-Bewegung
Die Degrowth-Bewegung schreibt:
Unter Degrowth oder Postwachstum verstehen wir eine Wirtschaftsweise und Gesellschaftsform, die das Wohlergehen aller zum Ziel hat und die ökologischen Lebensgrundlagen erhält. Dafür ist eine grundlegende Veränderung unserer Lebenswelt und ein umfassender kultureller Wandel notwendig.
Das aktuelle wirtschaftliche und gesellschaftliche Leitprinzip lautet „höher, schneller, weiter“ – es bedingt und befördert eine Konkurrenz zwischen allen Menschen. Dies führt zum einen zu Beschleunigung, Überforderung und Ausgrenzung. Zum anderen zerstört die Wirtschaftsweise unsere natürlichen Lebensgrundlagen sowie die Lebensräume von Pflanzen und Tieren.
Wir sind der Überzeugung, dass die gemeinsamen Werte einer Postwachstumsgesellschaft Achtsamkeit, Solidarität und Kooperation sein sollten. Die Menschheit muss sich als Teil des planetarischen Ökosystems begreifen. Nur so kann ein selbstbestimmtes Leben in Würde für alle ermöglicht werden. Praktisch gesehen heißt das: > Eine Orientierung am guten Leben für alle. Dazu gehören Entschleunigung, Zeitwohlstand und Konvivialität. Quelle: https://degrowth.info/de/degrowth-de
Beim Umstieg auf neue Techniken kommt es zu Rückbindungen (Rebound) , sodass gleich viele Emissionen ausgestoßen werden. Tilman Santarius beschreibt die Vielfalt möglicher Rebound-Effekte und analysiert die Schwierigkeiten, sie mit politischen Maßnahmen einzuhegen. Das Fazit: erst wenn die Wirtschaft aufhört zu wachsen, kann der Naturverbrauch hinreichend verringert werden. http://www.santarius.de/967/wachstum-energieeffizienz-rebound-effekt/
Nachdem ich die Wissenschaftlerinnen Prof. Sigrid Stagl und Prof. Verena Winiwarter gehört habe, sehe ich eine Gemeinsamkeit: Einen wichtiger Schritt raus aus der Klimakrise ist die Entkoppelung von BIP (Bruttoinlandsprodukt) und Ressourcenverbrauch. Weniger Material (Degrowth) und nur notwendige Dienstleistungen. Weniger Konsum, weniger Sachen, dafür Befriedigung der Bedürfnisse. Bedürfnisse sind wichtiger als gierige Wünsche.
